Von Michael Dörfler
FREIBURG. Dieser Tage ist es wieder soweit: Dann treten die Bewerberinnen und Bewerber für ein Sportstudium an der Uni Freiburg zur Eignungsprüfung an. 200 bis 300 Personen wünschen sich in der Regel einen Platz am Institut für Sport und Sportwissenschaft, 120 Kandidaten werden dann mit dem Studium beginnen können. Professor Albert Gollhofer, der dem Institut in der Schwarzwaldstraße in Freiburg schon seit Jahren als Direktor vorsteht, weiß schon, was auf ihn und seine Kolleginnen und Kollegen zukommt. „Etwa 80 Prozent werden mit der Eignungsprüfung große Probleme bekommen und werden sie wiederholen müssen." Schwimmen – zumal auf Zeit – stellt für die meisten Bewerberinnen und Bewerber eine hohe Hürde da, das Geräteturnen dazu und „mittlerweile auch die Leichtathletik". Gollhofer stöhnt leise auf, wenn er erzählt, dass sich bei den Probanden „im Ausdauerbereich heute große Lücken" auftun. Vor 20 Jahren sei das noch ganz anders gewesen. Ein bisschen verschieden sind auch noch die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern in Deutschland. Im Osten, weiß Gollhofer, sind die Strukturen in Kindergärten, Schulen und auch in den Vereinen, was den Sport anbelangt, noch etwas leistungsbezogener. Die DDR-Vergangenheit mit ihren durchstrukturierten, stark leistungsbezogenen Prinzipien mag da noch eine Rolle spielen. Entsprechend würden die Daten dort etwas besser ausfallen als im Westen. Noch.
In acht Disziplinen müssen sich die Bewerberinnen und Bewerber für einen Studienplatz beweisen. Die Anforderungen hält Gollhofer „für absolut machbar", zumindest für einen bewegungsfreudigen, einigermaßen trainierten Bewerber. Die Anforderungen entsprechen in etwa denen des deutschen Sportabzeichens. Da von Leistungssport zu reden, wäre sehr hochgegriffen.
Wer Gollhofer zuhört, begreift schnell, dass es sich bei den Beobachtungen im Sportinstitut der Uni um ein gesellschaftliches Problem handelt, ein globales dazu. Gollhofer zitiert aus einem Papier, das Studien aus 38 Ländern zusammenfasst, die den Trend beschreiben. Die rein quantitative Studie, die naturgemäß sowohl positive als auch negative Entwicklungen an den Rändern außer Acht lässt, beschreibt zum Beispiel den Umstand, dass bei den Elf- bis Zwölfjährigen ein zwar langsamer, aber steter Rückgang der Leistungsfähigkeit beim Springen, Laufen und Hüpfen zu registrieren sei. Jedes Jahr verliert diese Altersgruppe rund ein halbes Prozent ihrer Fitness. Summiert sich diese rückläufige Tendenz, ist man schnell bei zweistelligen Prozentzahlen.
Gollhofer hat noch ein Beispiel parat. In England zeigten gezielte Beobachtungen, dass das Gros der Probanten schon mit einfachen Push-ups, normalen Liegestützen also, ihre Probleme haben. Zehn, wie einst noch vor Jahren, schaffen heute nur noch die wenigstens am Stück.
Neulich, bei der Mitgliederversammlung des Badischen Sportbundes Freiburg, zog Gollhofer ein von den Anwesenden mit schweigendem Staunen quittiertes Fazit. Seit Beginn des Jahrtausendwechsels, so Gollhofer, habe das Leistungsniveau der Sportstudentinnen und -studenten um rund 20 Prozent nachgelassen. Das ist für ihn schlicht „eine Katastrophe".
Die Studie reicht die Gründe nach. Demnach hat sich das Freizeitverhalten der meisten Kinder und Heranwachsenden stark verändert. Anstatt auf den Wiesen oder auch in den Hinterhöfen „zu kicken oder sonst was zu spielen", wie es Gollhofer vorschwebt, verbringt die Zielgruppe die überwiegende Zeit damit, zu Hause zu sitzen und allein oder mit Freunden die Vorzüge von Videospielen und dergleichen zu testen.
Dazu kommt, dass viele Eltern heute Angst haben, der Sohn oder die Tochter könnte außerhalb des Hauses Gefahren ausgesetzt sein und sich beim Spielen im Freien möglicherweise weh tun oder sogar schwerer verletzen. Ein Übriges tut der Wandel in der Ernährung. Dem Trend zu Bio und Vegetarismus zum Trotz, ist die Zahl der Fastfood-Konsumenten noch immer riesengroß – nicht nur, aber insbesondere in weniger privilegierten sozialen Milieus.
Die Frage, wie diese Entwicklung gestoppt werden kann, muss Gollhofer – ebenso wie seine Kolleginnen und Kollegen – offenlassen; „ich weiß es nicht". Reparabel ist der körperliche Zustand später im Grunde nicht. „Im Alter von 18 Jahren ist die Entwicklung des menschlichen Skeletts, das die Stützstruktur des Körpers bildet, für gewöhnlich abgeschlossen", sagt Gollhofer. Sind die Muskelgruppen und Sehnen bis dahin nicht entsprechend mitentwickelt worden, sind die dadurch entstandenen Nachteile kaum oder gar nicht mehr aufzuholen.
Mit entsprechenden Folgen. „Natürlich", sagt Gollhofer, „müssen auch wir an der Hochschule diesem Trend Rechnung tragen." Was heißt: Die Bewertungen der studentischen Leistungen werden angepasst. Und – natürlich – auch die dafür geforderten Zeiten und Weiten. Das bedeutet: Auch die Leistungsbilanzen der nachwachsenden Sportlehrerinnen und -lehrer hat eher stagnierenden Charakter. „Da muss etwas getan werden", lautet die Forderung Gollhofers. In erster Linie ist dies eine Forderung an die Politik.
Was die Ausbildung fürs Lehramt an Gymnasien anbelangt, macht der Leiter des Sportinstitutes seit der Lehramtsreform einen Wandel bei den Prioritäten aus – weg von der Fachpraxis hin zur Didaktik, also der Lehre vom Lehren und Lernen. Mit der Folge: „Die Zahl derer, die in der Halle oder auf dem Sportplatz den Schülerinnen und Schülern Dinge vormachen und sie sach- und fachgerecht anleiten können, nimmt ab."
Es fehlt gewissermaßen aber auch an der Hardware. „Es gibt kaum noch Schulen, die einen Zugang zum Wasser haben", sagt Gollhofer, womit er Frei- oder auch Hallenbäder meint. Schwimmunterricht ist also nicht mehr alltäglich. Nicht anders sieht es mit der Leichtathletik aus. „Die Schulen, die noch eine Laufbahn vor der Türe haben, haben eine Ausnahmestellung", sagt Gollhofer.
Jetzt, da der Sport angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen gefördert gehört, gerät er womöglich ins Abseits. Kein Wunder also, wenn Gollhofer empfiehlt: „Umdenken".